13.12.2021
Causa Lebensversicherungen: Sammelklage gegen Republik Österreich vorbereitet

Es ist ein weitreichender Fall, der 2018 seinen Anfang nahm: Die Republik Österreich verabschiedete ein Gesetz, wodurch Ansprüche von Versicherungsnehmern von Lebensversicherungen bei Rücktritt weitgehend wirtschaftlich entwertet werden und verstößt damit gegen geltendes EU-Recht. Beim Verein zum Schutz von Anlegerinteressen (VSA) meldeten sich in den vergangenen Wochen und Monaten unzählige Betroffene, es wird eine Sammelklage gegen die Republik Österreich vorbereitet.

Zweimal verhinderte der VSA mittels offenem Brief an sämtliche Abgeordnete zum Nationalrat die Verabschiedung des Gesetzes. Am 4. Juli 2018 passierte der Gesetzesentwurf dann dennoch den Nationalrat. Damit trat die Republik Österreich in die Staatshaftung, da der österreichische Gesetzgeber für den entstandenen Schaden selbst einstehen und haften muss, sollte sich dieser nicht an die Grundregeln des Europäischen Rechts gebunden fühlen.

Erläuterung:

Die Republik entzog mit dem Gesetz seinen Bürgern den wirtschaftlichen Wert des Rücktritts von abgeschlossenen Lebensversicherungsverträgen mit fehlerhafter Belehrung zum Rücktrittsrecht. Die Folgen sind:

  • Bürger, die ihren Vertrag zwischen 1994 bis 2014 geschlossen haben, bekommen nach einem Rücktritt überhaupt nichts mehr.
  • Bürger, die ihren Vertrag zwischen 2014 bis 2020 geschlossen haben, bekommen nach einem Rücktritt nur noch den Rückkaufswert ohne Abzüge.
  • Bürger, die eine fondsgebundene Versicherung zwischen 2014 bis 2021 geschlossen haben, müssen nach einem Rücktritt jetzt alle bis zum Rücktritt eingetretenen Veranlagungsverluste tragen.

Der EuGH urteilte im Dezember 2013, dass das Rücktrittsrecht bei Belehrungsfehlern nicht erlischt und ein Gesetz eines Mitgliedsstaates dieses Rücktrittsrecht auch nicht zeitlich begrenzen darf. Der EuGH entschied aber auch, dass der Mitgliedsstaat das Rücktrittsrecht nicht entwerten darf. So urteilte der EuGH für Österreich am 19.12.2019 unmissverständlich, dass Bürger in der Republik Österreich nicht auf Zahlung des Rückkaufswertes beschränkt werden dürfen.

Der Oberste Gerichtshof der Republik Österreich bestätigte das Urteil, dass jeder Bürger, der in Österreich eine Lebensversicherung mit fehlerhafter Belehrung zum Rücktrittsrecht geschlossen hat, Rückzahlung aller gezahlter Prämien zuzüglich 4% Zinsen verlangen kann.

Kostenlose Prüfung und Teilnahme

Auf der Website des Vereins zum Schutz von Anlegerinteressen unter www.vsa.co.at kann mittels eines Rechners eine unverbindliche Schätzung über die Höhe des Anspruchs gegen die Republik eingeholt werden. Um sich an der Sammelklage zu beteiligen, reicht die Beantwortung weniger Fragen über ein Eingabeformular. In der Folge wird geprüft ob ein Anspruch besteht und wie hoch dieser ausfällt. Die Beteiligung an der Sammelklage ist kostenlos, der VSA trägt das Risiko zu 100 Prozent. Im Erfolgsfall werden 65 Prozent des Streitwerts an die/den Geschädigten ausgezahlt.

Zur europarechtlichen Staatshaftungsklage gegen die Republik Österreich wegen legislativen Unrechts:

Was besagt die 3. Lebensversicherungsrichtlinie?
Die in das Versicherungsvertragsgesetz umgesetzte 3. Lebensversicherungsrichtlinie der Europäischen Union besagt, dass das Rücktrittsrecht bei Lebensversicherungen, nach Abschluss, 30 Tage beträgt und der Versicherungsnehmer ordnungsgemäß darüber belehrt werden muss. Als Mitglied der Europäischen Union ist Österreich dazu verpflichtet, die 3. Lebensversicherungsrichtlinie umzusetzen.

Welcher Teil der Richtlinie wurde „verletzt“?
In seinem Urteil vom 19.12.2013 im Fall Walter Endress gegen Allianz Lebensversicherungs AG (C-209/12) entschied der EuGH, dass einem Versicherungsnehmer im Falle einer fehlerhaften Belehrung über die Rücktrittsfrist, das Rücktrittsrecht unbefristet zusteht. Dies hat auch der Oberste Gerichtshof der Republik Österreich in seinem Urteil vom 02.09.2015 (7 Ob 107/15h) bestätigt.

Wogegen hat die Republik Österreich verstoßen?
Dieses lebenslange Rücktrittsrecht bei fehlerhafter Belehrung zur Rücktrittsfrist, entzog die Republik Österreich durch ein per 04.07.2018 beschlossenes Gesetz. Alle Versicherungsnehmer, die ihren Vertrag bis zum 31.12.2013 geschlossen haben, dürfen weder zurücktreten noch haben sie irgendeinen Anspruch auf Rückzahlung der Prämien. Versicherungsnehmer, die ihren Vertrag ab dem 01.01.2014 geschlossen haben, können nur den Rückkaufswert verlangen. Seit dem 01.01.2019 gibt es nach einem Jahr nur noch den Rückkaufswert ohne die Abschlusskosten.

Welches Recht haben Versicherungsnehmer in diesem Fall?
Nach der Rechtsprechung des EuGH haften die Mitgliedstaaten ihren Bürgern, wenn eine Richtlinie, die dem Einzelnen ein Recht gewährt, von einem Mitgliedsstaat fehlerhaft oder nicht umgesetzt wurde („Francovic-Entscheidung“).

Wofür haftet die Republik Österreich?
Die Republik Österreich schuldet betroffenen Versicherungsnehmern daher aus gemeinschafts-rechtlicher Staatshaftung eine öffentlich-rechtlich „angemessene Entschädigung“ dafür, dass sie aufgrund des Gesetzes vom 04.07.2018 nicht mehr von ihrer Lebensversicherung zurücktreten und nur noch den Rückkaufswert verlangen können. Es wird nicht der Ersatz eines dem Versicherungsnehmer in seinem Vertrag konkret entstandenen zivilrechtlichen Schadens verlangt.

Wie kann der Schaden geltend gemacht werden?
Im europarechtlichen Staatshaftungsanspruch muss der Schadenersatzanspruch nicht für jeden Vertrag einzeln und individuell dokumentiert, dargelegt und bewiesen werden. Der Schaden kann vereinfacht, d.h. pauschalisiert, geltend gemacht werden.

Gibt es eine Deadline?
Ansprüche müssen spätestens bis zum Ablauf des 31.12.2021 gerichtlich geltend gemacht werden. Ansprüche können in der Republik Österreich gebündelt in einer Sammelklage vor einem Gericht in einem Verfahren mit nur einer Instanz vor dem österreichischen Verfassungsgerichtshof geltend gemacht werden.

Weiterführende Links zu den Dokumenten und Rechtsprechungen

Bundesgesetzblatt Nr. BGBl. I Nr. 51/2018
Richtlinie 92/96/EWG des Rates vom 10. November 1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (Lebensversicherung) sowie zur Änderung der Richtlinien 79/267/EWG und 90/619/EWG (Dritte Richtlinie Lebensversicheru
Urteil des Gerichtshofs (3. Kammer) vom 19. Dezember 2019
Schlussanträge der Generalanwältin Juliane Kokott vom 11. Juli 2019
Parlamentskorrespondenz Nr. 813 vom 04.07.2018
Urteil des Obersten Gerichtshof vom 02.09.2015

 Über den Verein zum Schutz von Anlegerinteressen

Der Verein zum Schutz von Anlegerinteressen (VSA) ist eine österreichische Verbraucherorganisation für alle auf dem österreichischen Finanzmarkt angebotenen Finanzanlageprodukte. Die Tätigkeit des Vereins ist nicht auf Gewinn gerichtet.

Der VSA hilft bei der Durchsetzung von außergerichtlichen und gerichtlichen Rechtsansprüchen von Kleinanlegern und Versicherungsnehmern. Der VSA kooperiert mit Experten wie Prozesskosten-finanzierern, Prozessführungsvereinen, Rechtsanwaltskanzleien, Wirtschaftsmathematikern und Wirt- schaftsberatern, die den Verein bei der Erreichung des Vereinszwecks unterstützen.

Sämtliche Informationen finden Sie unter: www.vsa.co.at

Für Rückfragen stehe ich Ihnen jederzeit gerne zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen
Markus Riedlmayer

Markus Riedlmayer Bakk., MBA
Senior Consultant

Chapter Four Communications Consulting GmbH
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Lange Gasse 65/16
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